MZ -
Aktuelle Musiker Zeitung, 1981, Nr. 2, 3. Jahrgang
Vergiss
Die Jahre – Alvin’s tut’s auch…
Die Katze lässt das Mausen nicht
und der Alvin Lee das Rocken nicht. Immer wieder, ganz
entgegen dem Boxer-Motto des „they never come back“,
taucht dieser Gitarrist der gehobenen Spitzenklasse aus
der Versenkung auf. Totgesagte leben länger, gemäß
dieser Devise hat sich der einstige Macher und Boss der
legendären Ten Years After am Ende des letzten Jahres
wieder zurückgemeldet und wieder mal eine Platte
vorgelegt.
Etwas fülliger ist er geworden, was
man schnell feststellen konnte bei der Sendung des
Woodstock-Filmes im Fernsehen vor einigen Tagen, als
sich Lee mit seinem Super- Knüller, „I’m Going Home“ präsentierte.
Angefangen hatte alles Mitte der
60er Jahre in Nottingham. Ein 20 jähriger, schlaksiger
Gitarrist namens Lee zog gemeinsam mit dem Bassisten Leo
Lyons durch die dortige Musikszene, spielte in diversen
Bands wie „The Atomites“, „The Jaycats“, und „The
Jaybirds“, wobei sie im Soge der Beatles auch –
allerdings ohne Erfolg – in Hamburg aufkreuzten.
Auf der Suche nach dem Erfolg
entstand im Mai 1967 eine weitere Band, in der Lee
fleißig mitmischt: Ten Years After. Gemeinsam mit Lyons
sowie Schlagzeuger Ric Lee und Keyboardspieler Chick
Churchill trat Lee, der am 19.12.1944 geboren wurde, im
Londoner Marquee auf, erntete erste Erfolge auf dem 7.
National Jazz und Blues Festival in Windsor.
Noch im Jahr 67 entstand die erste
LP „Ten Years After“. 1968 gab die Band ihr USA-Debüt
und brachte die Live-Platte „Undead“ sowie „Stonedhenge“
heraus, wobei diese einen der Höhepunkte in der Karriere
dieser Gruppe markierten.
Musikalisch bewegten sich Ten Years
After auf den Spuren alter Blueser , spielten diesen
Blues ziemlich hart, ließen Rock-Boogie – und
Jazzelemente einfließen. Nicht dank zuletzt von TYA lief
in England Ende der 60er ein Blues-Revival ab, das
enormen Umfang erreichte.
Der große Durchbruch gelang Lee und
Company im folgenden Jahr beim legendären Festival von
Woodstock, wo sie mit „I’m Going Home“, das schon auf
„Undead“ zu hören war, voll abhausten, diesen Song zu
einer Jugendhymne machten. Von da an war dieser Song das
Markenzeichen von Lee, der sich mehr und mehr zum
totalen Boss von TYA entwickelte, was der Band oft den
Vorwurf einbrachte, nur noch Lee’s Begleitmusiker zu
sein. 1968 kam „Ssssh“ auf den Markt. Ten Years After –
gerüchteweise soll der Gruppenname die Entstehung einer
Blues-Band zehn Jahre nach Elvis´ ersten Erfolgen
signalisieren – waren etabliert und eine der
meistgefragtesten englischen Bands. Markenzeichen der
Band waren Lee’s rasende Gitarrenläufe, seine
unverkennbaren Riffs, die Ten Years After Songs
unverwechselbar machten und später dem Gitarrero oft im
Wege standen, doch davon später.
Im folgenden Jahr brachten TYA
„Cricklewood Green“ und „Watt“ heraus, „A Space In Time“ und „Rock and
Roll Music to the World“ folgten in den beiden nächsten
Jahren, nachdem die Gruppe die Plattenfirma gewechselt
hatten, von Deram zu Chrysalis gegangen waren. Deram
brachte 1972 noch „Alvin Lee und Company“ auf den Markt,
auf der Lee’s Orgie „Boogie On“ mit einer Viertelstunde
Spielzeit enthalten war.
Einen weiteren Höhepunkt stellte
dann 1973 das „Recorded Live“ Doppelalbum dar, auf der
sich Alvin Lee fast als Alleinunterhalter mit endlosen
Soli präsentierte. Schon zuvor hatte die Fachpresse den
Engländern – zu Recht- ihre musikalische Unbeweglichkeit
zum Vorwurf gemacht. Die Band spielte sich auf ihrer
Masche tot, brachten kaum Neues, was auch das 1974er
Album „Positive Vibrations“ belegte.
Um den Jahreswechsel 1973-1974 ging
Lee dann Solo-Pfade, die Band löste sich auf. Chick Churchill nahm mit „You und
Me“ eine Solo- LP auf, auf der auch Leo Lyons und Ric Lee mitmischten. Trotz der
Bekanntheit und den Erfolgen, die Ten Years After
während ihres knapp siebenjährigen Bestehens aufwiesen,
gelang es ihnen nur einmal, einen Single-Hit in den Top
- Ten zu platzieren: „Love Like A Man“. Dieser erreichte
am 11.Juli 70 Platz sieben in England, drei Wochen
später Platz neun in Deutschland. Aber ansonsten –
gähnende Leere, was TYA–Single–Hits angeht.
In den folgenden Jahren tat sich
Lee sehr schwer, von seinem Image als „fastest guitarist
of the world“ wegzukommen, neue Wege und Möglichkeiten
zu finden. Dass er sich dabei oft selbst im Weg stand
und auch mancherlei Quatsch verzapfte, hat ihm ein
Negativ-Image eingebracht, das zum Teil auch heute
besteht und ihm nachgetragen wird. Nach der Auflösung
von Ten Years After spielte Lee bei Plattenaufnahmen von
Splinter (74/75) Jerry Lee Lewis (73) und George
Harrison (74) mit und brachte auch eigene LP’s heraus.
Zunächst „On the Road to Freedom“
mit Mylon LeFevre (73), einem kanadischen soullastigen
Sänger. Mit vor der Partie waren Steve Winwood, Jim
Capaldi, Ron Wood, Mick Fleetwood, Andy Stein (Ex
Commander Cody), Reebop Kwaku Baah (Ex Traffic) und und
Bob Black, ebenfalls von Commander Cody. Heraus kam eine
sehr ausgewogene, leicht folkig angehauchte, meist
sanfte Platte, eingespielt von hervorragenden Musikern,
die sich als echtes Team ohne großen Boss erwiesen. Von
der anschließenden Tournee, die er unter den Namen
„Alvin Lee & Co“ absolvierte, wurde im Londoner Rainbow
Theatre ein Live – Mitschnitt gefertigt und als Doppel –
LP „In Flight“ auf den Markt gebracht. Mit Musikern wie
dem Saxophonisten Mel Collins, Ian Wallace (dr), Tim
Hinkley (keyb), Alan Spenner (bg) und Neil Hubbard (g)
präsentierte Lee ein ungemein breites musikalisches
Spektrum: es waren stark soul- beeinflusste Passagen
enthalten, geschickt eingebaute Jazz – Elemente, aber
auch der rockige Blues kam nicht zu kurz. Mal dynamisch,
voller Power, dann wieder entspannt, locker. Es war voll
gelungen und überraschend vielschichtig, was Lee da vom
Stapel ließ.
„Pump Iron“ aus dem Jahr 1975, mit
derselben Besetzung und einigen weiteren Musikern
eingespielt , ging in dieselbe Richtung. Laidback,
relaxed, so richtig zum Träumen zumeist, mit ein paar
swingenden Boogie -, bzw. bluesigen Stücken. Ein Jahr
später kam dann „Sa-guitar“, 1976 – die allerdings nicht
mehr lieferbar ist, und über die ich nichts sagen kann,
da ich sie nie zu Gesicht bekam.
Im Juni 1977 tourte Lee auch wieder
mal durch Deutschland, und er bekam in Offenburg bei „A
Summer Festival“ für seinen Gig relativ gute Kritiken.
Verrissen wurde dagegen „Let It Rock“, das Chrysalis als
Sampler nach seinem Wechsel zu Polydor auf den Markt
warf. Abfallmaterial der vorherigen Werke wurde
zusammengeschustert und kostete Lee wieder einiges von
seinem Renommee, das er sich mühsam wiedererkämpft
hatte.
Doch auch seine folgenden
Produktionen bedeuteten einen unverständlichen Rückfall
in offenbar doch noch unbewältigte Ten Years After
Zeiten. Schon der Name seiner neuen Band zeigte, wo es
langgehen sollte: Ten Years Later. Sich selbst und seine
alten Riffs plagiierend, zeigte sich Lee auf „Rocket
Fuel“ 1978. Der Auftritt in der Rocknacht im Oktober
1978 unterstrich diesen Eindruck, vor allem die x-te
Wiederholung von „Goin´ Home“, das Lee mittlerweile
totgespielt hat. Auch auf der nächsten LP „Ride On“, die
eine Studio – und eine Live - Seite beinhaltet (mit dem
Song vom Heimgehen natürlich) offenbarte es sich, dass
Lee nach seinen hoffnungsvollen Ansätzen in den Jahren
zuvor doch wieder nur auf der Stelle trat. Lee
entwickelte mit Tom Compton am Schlagzeug und Mick
Hawksworth am bass zwar viel Power und versprühte viel
Energie, aber irgendwie war die ganze Sache zu
abgedroschen, um neue Fans anzulocken. Dies muss Lee
auch aufgegangen sein, denn es folgte eine längere
Pause, in der man nichts von ihm hörte. Nach einem
weiteren Wechsel der Plattenfirma (er ging zu Avatar, in Deutschland
von Bellaphon vertrieben) und Ende des vergangenen
Jahres legte er mit „Free Fall“ seine bisher letzte LP
vor. Als Alvin Lee Band mit Steve Gould (Gitarre)und Mickey Feat (Bass)
und Tom Compton (Schlagzeug) agierend, erhielt er auch
ansprechende Kritiken, die aber alle zwischen den Zeilen
den Tenor beinhalteten: gut, wenn man die alten Ten
Years After – Zeiten unberücksichtigt lässt.
Alvin Lee’s Spektrum ist wieder
breiter geraten: sanfte, balladeske Songs, mit einem
würzigen Schuss Pop (durchaus positiv gemeint) wechseln
mit blueslastigen Stücken und auch richtig fetzende und
rockende Kracher sind auf dem Album enthalten. Dass das
Feeling des rockigen Rhythm und Blues noch heute durch
seine Adern jagt, beweist er eindrucksvoll (u.a. „Ridin´
Truckin´“ ).
Es wurde ja auch Zeit, dass dieser Gitarrenheros wieder
einmal im positiven Sinne von sich reden macht.
Schließlich hat der mittlerweile fast 36jährige oft
genug bewiesen, wie gut er sein kann.
Philipp Roser / MZ - Musiker Zeitung
Nr. 2 - 1981
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